English:
Bonner General-Anzeiger, 9.7.1998
by Christina zu Mecklenburg
Sleepless in New York
Aurore Reinicke's Work in the Schneider Gallery
Although it may appear paradoxical that an artist named Aurore does much of her work at night, there is a reason for her nocturnal activity: this is when she can best take advantage of the technically highly-specialised laboratory in New York and proceed with her work on her pictures. Her work-place is the computer screen, where the young artist can see what she has produced so far. Parts of coloured landscapes painted out not on paper but on industrial tape are transferred via colour slide to the computer where they are enlarged and revised.
Whilst the original unity diisolves on the screen, the process of dissolution is arrested and captured. A new artistic essence is filtered out. Large new compositions or miniature cut-outs which illustrate the artistic procedure are the results of this stage in the process which is, in all its lengthiness, part of the overall work of art. The mirror effect reflected in the plexiglass is also integrated into the now finished work of art: a symphony of tones in red and ocre almost all of which are titled "Red Structured Landscapes" with additional comments such as "curriculum vitae", "biography" or "metamorphosis". This series of works produced between 1996 - 1998 can now be seen in Michael Schneider's gallery in Bonn.
The genesis of Aurore Reinicke's work can be read as a "work in progress". The artist, born in Flers, France in 1960 and a graduate of photography and art studies, discovered an affinity for transparent materials and, in particular, industrial tapes used in aerospace industry to prevent corrosion on aircraft wing: a light ocre and pulsating red acrylic paint is applied to rectangular segments of this tape. The results are open to a wide range of associations: poppy petals floating away from their stems on the wind, blood stains, human skeletons. The second step is a colour slide photograph of the painted tape which is subsequently retouched and revised on the computer screen where special effects are achieved through the use of light. The colour principle, the flow of red paint and the form principle embodied in the use of ocre to structure the paintings are thus given a readable biography on the personal computer.
Bonner Rundschau, 30.7.1998
Heidrun Wirth
Dream Pictures on Tape
An Exhibition of Aurore Reinicke's Work in the Michael Schneider Gallery
Tape, the transparent skin of our times, has many uses: it "envelopes" our food - and keeps it fresh, it protects new products. However, it is hardly ever seen in its own right - much less used in art works such as those currently on view in the Michael Schneider Gallery for Contemporary Art in Bonn. Aurore Reinicke, born in France and currently at home both in New York and Linz on the Rhine, has turned the everyday packaging material into artefact. She paints on transparent tape used in the aerospace industry to protect the aircraft wing on jumbos from corrosion.
The artistic process starts in a traditional manner with paintbrush and individually mixed acrylic paint which is applied to the tape in the form of red dots and ocre coloured paintstrokes. But this is merely the starting point of a technical game which involves photographing the painted tape and scanning it onto the computer screen. Various versions of the painting now appear - from the original painting to huge zoomed fragments. The completely transparent print-outs are, in turn, carefully stuck onto acrylic glass in order to maintain the characteristic light effect. Surprising details appear as a result of enlargement process. These are not only spontaneously personal and emotional but also the automatic product of a skillfully applied technique. Both these elements coexist in a new harmony in the artworks which fuse bulbous red bubbles, ancient painting techniques and state-of-the-art computer technology. The round red forms look almost like single cells under the microscope whilst the ocre-coloured swathes, occasionally highlighted with contours in black ink, seem to surge out irrationally from depth into which they disappear again. They 38-year old artist calls the pictured dreams "Red Structured Landscapes" and believes that the inspiration for them stems from the birth of her twins. Aurore Reinicke studied at the Dusseldorf Academy of Fine Arts with particular emphasis on the integration of art and architecture. Prices range from DM 140 for a smaller tape picture to DM 4800 for a square-meter digital C-print.
Deutsch:
Bonner General-Anzeiger, 9.7.1998
Arbeiten von Aurore Reinicke in der Galerie Schneider
Von Christina zu Mecklenburg
Daß ausgerechnet eine Künstlerin mit dem Vornamen Aurore nächtens ihr Wirken entfaltet, weckt so gewiß einen neckischen Widerspruch, hat indes einen seriösen Grund. Nachts kann Aurore Reinicke ungestört ein technisch hochspezialisiertes Labor von New York in Anspruch nehmen und der Vollendung ihrer Werke ein Stück näher rücken. Dort am Computer-Bildschirm betrachtet die junge Künstlerin das, was sie bisher zu Papier, genauer auf Klebestreifen gebracht hat. Teile von Farblandschaften werden selektiert, beschnitten, vergrößert, verändert.
Auf der belichteten Scheibe löst sich eine ursprüngliche Einheit auf, wird im Entschwinden aufgehalten und als künstlerisches Substrat herausgefiltert. Es entstehen großformatige Neukompositionen oder miniaturförmige Vignetten, welche den Arbeitsprozeß veranschaulichen, der in seiner Langwierigkeit Bestandteil des Gesamtkunstwerkes ist. Der Spiegeleffekt der Plexiglaseinfassung integriert sich ebenfalls in die nun abgeschlossene Arbeit: eine Ton-Setzung von Rot und Ocker, fast durchgängig betitelt mit "Red Structured Landscape" und versehen mit dem Zusatzkommentar "Lebenslauf", "Biographie" oder "Metamorphosis". Diese Serie aus den Jahren 1996 bis 1998 ist nun in der Bonner Galerie Schneider zu sehen.
Die Genese des Werks von Aurore Reinicke, 1960 in Flers/Frankreich geboren, stellt sich als ein "work in progress" dar. Mit einer Vorliebe für transparentes Material entdeckte die Fotografin und Malerin besondere Haftfolien, die in der Luftfahrtindustrie eingesetzt werden, um die Tragfläche vor Korrosionsschäden zu schützen; diese Klebestreifen belegte sie mit einem lichten Ockergelb und einem vitalen Rot. Es erschließen sich Assoziationsräume: vom Wind angerührte Klatschmohnblütenblätter, sich vom Stengel lösend, ebenso Blutkleckse und menschliches Skelett. Im zweiten Arbeitsabschnitt wird der bemalte Klebestreifen abfotografiert, retouchiert, erhält neue Akzente durch gezielte Lichtmanipulation. Das Prinzip Farbe, der rote Farbfluß und das Prinzip Form, verkörpert durch das strukturierende Ockergelb, erhalten hernach am PC ihre lesbare Biographie.
Bonner Rundschau, 30.7.1998
Heidrun Wirth
Die Küstlerin Aurore Reinicke stellt in der Galerie Michael Schneider aus
Bildträume auf der Folie
Bonn. Folie, die durchsichtige Haut unserer modernen Zeit, ist für vieles gut, ob sie Lebensmittel "einhüllt" oder frischhällt, oder ob sie neue Produkte schützt. Das transparente, glasklare Material wird indessen kaum wahrgenommen und noch seltener für die Kunst benutzt, wie derzeit in der Galerie für Zeitgenössische Kunst bei Michael Schneider zu sehen. Die aus Frankreich stammende und heute bald in New York, bald in Linz am Rhein lebende Künstlerin Aurore Reinicke hat das alltägliche Verpackungsmaterial nun auf ihre "Art" kunstfähig gemacht. Sie malt auf transparentem Klebeband. Benutzt wird es in der Flugzeugindustrie, um die Tragflächen des Jumbos vor Korrosionsschäden zu bewahren.
Der künstlerische Prozeß beginnt zunächst traditionell mit Pinsel und pigmentvermischten Acrylfarben, die auf der Folie rote Tupfer und ockerfarbene Pinselzüge hinterlassen. Doch damit nicht genug, nun setzt das technische Spiel erst richtig ein. Die Malerei auf der lichtdurchflossenen Folie wird fotografiert und dann in den Computer eingescannt. So entstehen verschiedene Zustände von der (handschriftlichen) Malerei bis zu den im Computer riesenhaft gezoomten Fragmenten. Sorgfältig wurden die Ausdrücke - wiederum völlig durchsichtig - hinter Acrylglas aufgezogen, damit wurde der lichtdurchflutete Charakter erhalten. Durch die Vergrößerung zeigen sich überraschende Feinheiten der Malerei, die einerseits Spontan, persönlich und emotional wirken, gleichzeitig aber ein automatisches Produkt geschickt angewendeter Technik sind. So ist denn beides in einen neuen Einklang gebracht in den Bildern mit den roten quellenden Blasen, uralte Malerei und brandneue PC-Technik. Fast wie Einzeller unter dem Mikroskop scheinen die roten runden Formen und die ockerfarbenen Stäbchen, bisweilen von schwarzen Tuschekonturen unterlegt, von irgendwoher völlig irrational aus der Tiefe zu kommen und dorthin wieder zu entschwinden. "Red Structured Landscapes" (rot strukturierte Landschaften) nennt die 38jährige Künstlerin diese Bildträume und meint, daß die Inspiration dazu durch die Geburt ihrer Zwillinge entstanden sei. Aurore Reinicke hat an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert und sich insbesondere mit der Integration von Kunst und Architektur beschäftigt. Die Preise in der Galerie reichen von 140 Mark für eine kleine Folienmalerei bis zu 4800 Mark für ein metergroßes Digital-C-Print-Quadrat.
Bonner Rundschau, 8.10.1999
Heidrun Wirth
Kunstpreis der Stadt Bonn 1999 - Ausstellung im Künstlerforum
Bilderflut und Konsumrausch
Bonn. "Einsame Spitze" ist Preisträger Michael Görnert (wie berichtet) mit seinem gelungenen Van-Eyck-Zitat in Video und Raummodell nicht. Auch die übrigen zwölf Künstler und Künstlerinnen, die von der Jury unter Vorsitz von Professor Dieter Ronte in die engere Wahl gezogen wurden, können sich - wie die gegenwärtige Ausstellung im Künstlerforum zeigt - durchaus sehen lassen.
Aurore Reinicke ist darunter, die bereits zur Stadtkunst die Tiefgaragen in der City verwandelt hat. Die 1960 geborene Künstlerin fotografiert die eigene Malerei, die auf lichtdurchlässiger Folie entstanden ist und verfremdet sie dann digital. Ihre Arbeiten waren 1998 in der Galerie Michael Schneider zu sehen. Auch Ilse Wegmann ist mit ihren "Hintermalungen" dabei, die sie zur Stadtkunst bei "Farben Mirgel" gezeigt hatte. Ihre milchige weiße, leise zustreichende Hinterglasmalerei regt zum bewussten Nachdenken über Bildflut und Konsumrausch an. Die bekannte Bonner Künstlerin hatte bereits 1992 ein Stipendium der Stadt Bonn erhalten. Auch die eben mit dem Hans-Thuar-Preis ausgezeichnete Stefanie Pech ist mit ihren (hyper-)naturalistischen Kraken wieder bis zur Spitze vorgerückt.
Auf die nicht mehr intakte Landschaft in den Rheinauen macht Carlotta Brunetti (Hans-Thuar-Preis 1989 und Stipendium der Stadt 1990) aufmerksam, die unlängst in der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung ihr Riesennest ausgestellt hatte und bei der Naturkunst in der Stadtgärtnerei ihre "naturwüchsige" Kunst installierte.
Spannend sind die großen, mit Latexmilch überzogenen Nesselhäute von Gemma Priess, die in einer zweiteiligen Skulptur (aus einer sechsteiligen Reihe) die Innen- und die Außenseite der Dinge thematisieren.
Der chinesische Künstler Ren Rong fertigte einen kleinen Tempel als einen betretbaren Kubus, in dem die Außenwände aus säuberlich geklebten Fotografien bestehen und im Inneren ein Hocker mit Doppelgesicht steht. Er wil auf die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft aufmerksam machen und hebt die Kontraste wieder auf unter dem Oberbegriff "Natur". Von leichtem (minimalistischen) Ungleichgewicht ist das Linienspiel von Norwin Leineweber, Meisterschüler von Günther Uecker, der bereits Gast der Bonner Gruppe konkret war.
Nicht nur Installationen, auch reine Malerei ist zu sehen wie die spurenreichen Bilder von Sascha Overath und die mit Abdrucken gefüllten Bilder von Heiner Blumenthal. Neopointillistisch geht Joachim Szymczak vor, der nobel gerahmte Bilder aus unzähligen monochromen pastosen Farbklecksen wachsen lässt.
Für die Dauer der Ausstellung ist übrigens immer einer der Künstler und Künstlerinnen anwesend - und gesprächsbereit. Der Kunstpreis selbst wird zur Finissage am 24. Oktober um 17 Uhr im Künstlerforum vergeben.