English:
CRILLAGES - GRILLAGES
Marie Shek, Jerusalem 2003
"Crillages-Grillages" is the latest still unpublished cycle of drawings made in Jerusalem in 2002 and 2003. "Red Structured Landscapes" is the title of another cycle created in the United States in 1996 and 1997. These two different moments of creation of the artist are thoroughly incorporated into the time of their making. In these cycles, the past encounters the present and entirely different places and states of mind do likewise: it is exactly at these crossroads that Aurore Reinicke expresses best of all the various facets of her many-layered identity.
The cycle of red structured landscapes examines the relationship between the human being and nature. The colour red, symbolizes the life, the force, the love, the freedom, the passion. The red spots catching our gaze become the center of an organic dynamic of the cells of life. The small red shapes represent the elements of life - in works made at the time the artist gave birth to her twins. Her whole life dealt with the red vital blood corpuscules. The transparency of nylon, the material these small red shapes were created on, also shows that the artist attaches great importance to the transparency of the objects. It describes the sphere of a neutral and calm soul - as though there is nothing to be concealed. To touch the intangible and make the invisible visible - this has engendered an entirely real and creative art whose red semi abstract shapes penetrate into a hidden and mysterious dimension. In the small shapes one already discovers what much later will be the main focus of the artist's creative interest: the wire-netting.
In 2001, during the second Intifada, Aurore Reinicke moves with her family to Israel. Unfortunately, very often, shebecomes the witness of fatal attacks from a close distance. Unconsciously, this threat has captivated her. Thus, the peaceful transparency of the 1996/1997 cycle changes into the encounter of lines that often falter in tune with the bloody reality of this region. The result of this subliminal fear is this cycle of drawings directly made on paper by means of an accentuated pencil. This spontaneity, generally strange to the artist, becomes the core of the new cycle - the concentration of a suppressing, fearful and troubled presence.
With the cycle "Crillages-Grillages" made in 2002/3, Aurore Reinicke presents a series of drawings based on monochromatic colors and strong lines that accentuate the essential. These lines will lead the fight of creation. Lines of any nature: straight, curved, floating, diffused, interrupted. Each of them fights its own battle within the space. The red dotted wire-netting creates new topographic maps that pave new ways - very intimate ways of a disordered soul; and these ways draw a new imaginary and virtual space. The wire-netting (grillage) becomes now a Crillage, a scream controlled by terror. This grille emits the sound of tears. What might have appeared as innocent drawings of a red wire mesh results from strong, seismic emotions. It seems as if a tremor had disturbed the sensitive personality of the artist.
Another work based on a gray barbed-wire takes shape in front of a pastel blue texture. The iron Grillage becomes a terrifying prison. These are the wires the inhabitants of Israel and Palestine alike are continuosly confronted with. A rolled out wire showing the disturbances of that reality. On both sides of the barrier there is touch at very best and dialogue is out. The pastel blue behind the gray-colored wire represents the optimistic vision of one of the artist's passions: water, a pool, the sea, the infinite blue of the Mediterranean.
The final work to be mentioned here shows the colored and well structured holes of the barbed wire, endlessly deep holes whose white circle in the middle forms the hole of nothing. The accumulation of wires in a closed space prevents the fresh air from penetrating. The shape of lines reveals the impossibilty of a liberty of thoughts; it delineates the long tunnel the artist walks to emerge only at the saddening passive but first-hand experience of a painful battle in which she can only play the role of a witness.
These works on paper reveal different aspects in Aurore Reinicke's oeuvre. Art, might one not suppose, is her tool to filter her impressions and her pain in order to share them with the beholder?
Deutsch:
CRILLAGES - GRILLAGES
Marie Shek, Jerusalem 2003
"Crillages-Grillages" ist ein 2002-03 in Jerusalem geschaffener, bislang unveröffentlicher Zeichnungszyklus. "Red Structured Landscapes" bildet eine andere Serie, die 1996-97 in den USA entstanden ist. Diese zwei unterschiedlichen Schaffensmomente der Künstlerin sind ganz in die Zeit ihrer Entstehung eingebettet. Da treffen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander sowie grundverschiedene Orte und Seelenzustände: und gerade an diesen Wegkreuzungen bringt die Künstlerin die verschiedenen Facetten ihrer vielschichtigen Identität am besten zum Ausdruck.
Die Serie der rot strukturierten Landschaften untersucht die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Rot symbolisiert das Leben, die Kraft, die Liebe, die Freiheit, die Leidenschaft. Die roten, den Blick anziehenden Kleckse werden zu Zentren einer organisierten Dynamik von Lebenszellen. Die kleinen roten Formen stehen für die Elemente des Lebens. Gerade zu dieser Zeit hat Aurore Reinicke Zwillinge geboren. Ihr ganzes Leben drehte sich um die roten, lebenswichtigen Blutkörperchen. Aber die Transparenz des Klebefilms, auf der diese kleinen roten Formen enstanden sind, zeigt auch, wie wichtig die Durchsichtigkeit der Objekte für die Künstlerin ist. Es wird ein neutrales, friedliches Seelenfeld beschrieben - als ob es nichts zu verbergen gäbe. Das Unfassbare fassbar und das Unsichtbare sichtbar machen - das setzt eine ganz reale, schöpferische Kunst frei, deren rote, halb-abstrakte Formen in eine verborgene und geheimnisvolle Dimension vordringen. Schon in den kleinen Formen entdeckt man, was viel später im Mittelpunkt des schöpferischen Intresses der Künstlerin stehen wird: der Maschendraht. 2001, während der zweiten Intifada, kommt Aurore Reinicke mit ihrer Familie nach Israel, um dort zu leben. Zu oft erlebt sie tödliche Attentate aus nächster Nähe. Unbewusst wird sie auch von dieser Bedrohung eingenommen. So weicht die friedliche Transparenz des 1996-97er Zyklus dem Zusammenführen von Linien, die vor der oft blutigen Realität dieser Region ins Wanken geraten. Das Ergebnis dieser unterschwelligen Angst ist diese Serie von Zeichnungen, die mit akzentuierendem Bleistft direkt auf dem Papier ausgeführt werden. Diese der Künstlerin sonst fremde Spontaneität wird zur Existenzberechtigung der neuen Serie - als Zusammenfassung einer erdrückenden, Angst einflößenden, unruhigen Gegenwart.
Mit den 2002-03 entstandenen "Crillages-Grillages" legt Aurore Reinicke eine Reihe von Zeichnungen vor, die auf monochromen Farben basieren und deren stark akzentuierte Linien das Wesentliche unterstreichen. Diese Linien werden den Kampf um die Kreation führen. So formreiche - gerade, krumme, runde, schwebende, gemischte, unterbrochene Linien, von denen jede ihre eigene Schlacht im Raum schlägt. Der rot gestrichelte Maschendraht schafft neue topographische Karten, die neue Wege öffnen - ureigene Wege einer Seele in Aufruhr, die einen neuen imginären und virtuellen Raum zeichnen. Das Drahtgitter (Grillage) wird nun zum Crillage, einem vom Erschrecken beherrschten Schrei. Am Gitter hängt der Klang von Tränen. Die auf den ersten Blick scheinbar harmlosen Bilder eines roten Maschendrahtes bringen einen durch starke, seismische Emotionen zerstückelten Seelenzustand ans Licht. Es ist als ob ein Beben das sensible Wesen der Künstlerin erschüttert hätte.
Eine andere Arbeit basiert auf grauem Stacheldraht vor pastellblauem Gewebe. Hier wird der eiserne Grillage zu einem beklemmenden Gefängnis. Es sind die Drähte, mit denen die Bewohner Israels und Palästinas gleichermaßen immer wieder konfrontiert werden. Ausgerollter Draht, der die Wirren der Wirklichkeit aufzeigt. Auf beiden Seiten der Absperrung kaum eine Berührung: jeder geträumte Dialog wird verhindert. Das Pastellblau hinter dem graufarbigen Draht steht für die optimistische Vision einer Leidenschaft der Künstlerin: das Wasser, der Pool, das Meer, das unendliche Blau des Mittelmeers. Die letzte hier zu erwähnende Arbeit zeigt die farbigen und wohl strukturierten Löcher des Stacheldrahtes, unendlich tiefe Löcher, deren weißer Kreis in der Mitte das Loch des Nichts bildet. Eine Anhäufung von Drähten in einem geschlossenen Raum verhindert das Zuströmen frischer Luft. Die Linienführung zeugt von der Unmöglichkeit eines freien Denkens; sie verweist auf den langen Weg der Künstlerin, die dazu gezwungen ist, einen schmerzhaften Kampf traurig mitzuerleben, bei dem sie nur die Rolle der Zeugin übernehmen kann.
Diese Arbeiten auf Papier geben Aufschluss über verschiedene Aspekte des Werks von Aurore Reinicke. Dann ist also die Kunst ihr Weg, Ihre Eindrücke und Schmerzen zu filtern, um sie mit dem Beobachter zu teilen?