Skulptur (1994) Auf der Suche nach einer Atmosphäre von gleichzeitig herrschender Ordnung und Unordnung, nach der Spannung zwischen dem Statischen und dem Beweglichen, nach einem Schwebezustand zwischen optischem Volumen und Flächen, zwischen Raum und Ebene, zwischen Schwere und Leichtigkeit…Die Objekte vermitteln das Gefühl zu sinken, sich zu drehen … Thomas H. Macho, Linz (Austria) 1994

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Deutsch:

Aus dem Buch "Netz Europa", PVS Verleger, Wien, 1994

EIN EXPERIMENTELLES PROJEKT, Thomas H. Macho

Spätestens seit Winter 1989 hat sich die Perspektive neuerlich durchgesetzt, Europa als ein unabgeschlossenes Projekt anzusehen. Was Europa heißt, liegt seither nicht mehr fest - weder als Idee noch als Geschichte, weder im Blick auf vergangene Macht, noch inder Vorwegnahme künftiger Größe. Die Grenzen Europas - geopolitische, ökonomische, religiöse, sprachliche, ethnische, wissenschaftliche und künstlerische Grenzen - werden wieder bewegt; sie lassen sich durch keine homogenen Territorien und durch keine verbindlichen Traditionslinien definieren. Europa ist kein geordnetes Reich, wie noch die mittelalterlichen Weltkarten suggerierten, sondern ein semantisches Netzwerk von Kontexten und Assoziationen, die sich jeder logischen Ableitung widersetzen. Ein Netz: Verkehrsnetz? Telefonnetz? Computernetz? Ein Netz der unmöglichen Koalitionen und Querverbindungen. Ein Netz der vielseitigen und beliebigen Zusammenhänge, der neuesten Maschen, Angebote und Warenketten: Einkaufsnetz? Fischernetz? Schmetterlingsnetz? Ein Netz der Beziehungen wie der Verstrickungen; ein Gitterwerk der Mobilität, aber auch der Gefangenschaft. Wer ans Netz geht, riskiert, ins Netz zu gehen; die Phantasie vom Weltmarkt provoziert gelegentliche Anfälle von Agoraphobie.

Aurore Reinicke: EUROPA - DAS NICHT BEGEHBARE, NICHT BETRETBARE UND NICHT BEWOHNBARE HAUS

Auf der Suche nach einer Atmosphäre von gleichzeitig herrschender Ordnung und Unordnung, nach der Spannung zwischen dem Statischen und dem Beweglichen, nach einem Schwebezustand zwischen optischem Volumen und Flächen, zwischen Raum und Ebene, zwischen Schwere und Leichtigkeit, will die Künstlerin ihr Bild von Europa in drei Glashäusern manifestieren. Ihre Objekte besthen aus offenen und durchsichtigen Flächen und sind weitgehend transparent; die Stufen im Inneren sind allerdings mit Aluminium belegt und erlauben keinen Durchblick: sie werfen wie ein zweidimensionaler Spiegel das Bild der Außenwelt und des Betrachters zurück. Dagegegn ist der Innenraum scheinbar endlos. Die Objekte vermitteln das Gefühl zu sinken, sich zu drehen. Sie symbolisieren die Hermetik des europäischen Hauses, das wie eine Schaubühne für die außereuropäischen Länder wirkt, ohne doch betreten werden zu können. Transparenz und Verschlossenheit, darin bestehen die Hauptmerkmale einer Welt im Umbruch, die sich selbst im Bild des Hauses zu thematisieren versucht.

Das Bild dieses Hauses bleibt ambivalent: in den Modellen der Künstlerinnen kann niemand wohnen; der vordergründigen Leichtigkeit korrespondiert ein melancholisches Bewußtsein von Heimatlosigkeit. Die Moderne ist das Zeitalter einer neuen Mobilität, in der nicht nur Bodenbesitz, Arbeitsplätze oder Wohnstätten beweglich und flexibel geworden sind, sondern auch die Beziehungen, sozialen Kontakte und persönlichen Entwicklungen. Das Haus ist eine Chiffre für jene Art von Geborgenheit, die eigentlich gar nicht mehr erfahren werden kann. In den Worten John Bergers: "Heutzutage kann das Haus, sobald die allerfrühste Kindheit vorbei ist, niemals mehr Zuhause sein, wie es das in anderen Epochen war. Dies Jahrhundert ist bei all seinem Reichtum und all seinen Kommunikationssystemen das Jahrhundert der Verbannung. Nach und nach wird vielleicht die Verheißung, deren großer Prophet Marx war, erfüllt, und dann wird der Ersatz für die Obhut eines Zuhauses nicht einfach nur in unseren persönlichen Namen bestehen, sondern in unserer kollektiven bewußten Präsenz in der Geschichte, und wir werden wieder inmitten des Wirklichen leben. Trotz allem kann ich es mir vorstellen. Unterdessen leben wir nicht einfach nur unsere eigenen Leben, sondern auch die Sehnsüchte unseres Jahrhunderts."